„Auf eigenen Beinen stehen"
UMLANDGESCHICHTEN:
Nach 100 erfolglosen Bewerbungen gründet Pleißaerin Geschäft
Limbach-Oberfrohna/OT. Pleißa. Sie sind weggegangen und heimgekehrt, sie haben sich fürs Hierbleiben entschieden: Menschen im Chemnitzer Umland. Die großen Veränderungen der Zeit spiegeln sich in ihrem Leben wider. Wir haben uns mit ihnen unterhalten und stellen sie vor.
Der zierlichen schwarzhaarigen Frau traut man die schwere Arbeit auf dem ersten Blick gar nicht zu. Am Montag eröffnet Nadine Petzold in Pleißa auf dem Grundstück ihrer Eltern einen Buntmetall- und Schrotthandel. Die 22-Jährige hat etwa 100 Bewerbungen geschrieben - erfolglos. Oft hat sie erlebt, wie eng Hoffnung und Enttäuschung beieinander liegen. Nach solchen zermürbenden Prozeduren will sie jetzt als Selbstständige ihr Schicksal in die Hände nehmen.
Das ehemalige Gewerbegebäude, das bei älteren Pleißaern als „Löbel-Bleiche" bekannt ist und lange leer stand, hat ihre Familie vor drei Jahren gekauft und baut es jetzt zur Wohnung aus. Das Kellergeschoss bietet ordentliche Gewerberäume für den künftigen Buntmetallhandel. Ein großer Schreibtisch im hinteren Teil des großes Raumes dient vorerst als Büro. Hinter dem breiten Eingangstor steht die erste große Anschaffung: Die Waage war etwa zehn Jahre nicht in Betrieb und wird jetzt neu geeicht.
Nadine Petzold atmet tief durch. Dass sie als Unternehmerin ihren Lebensunterhalt verdienen würde, hat sie sich kaum vorstellen können. Nach der zehnten Klasse suchte sie lange und vergeblich nach einer Lehrstelle. Sie entschied sich für eine schulische Ausbildung zur Kaufmännischen Assistentin. Als ausgebildete Sekretärin ohne Praxis fand die stille Frau, die nicht gern große leere Worte macht, keinen Job. Ansprüche gegenüber dem Arbeitsamt hatte sie nicht, hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Zwei Monate arbeitete sie in einer Trainingsmaßnahme ohne Lohn bei einer Chemnitzer Firma.
Die Idee mit dem Buntmetallhandel kam ihr bei der Sanierung des Hauses. „Beim Entrümpeln des Gebäudes mussten wir viel Schrott entsorgen. Leute haben uns gefragt, warum wir dafür kein Geld verlangen würden. Da habe ich mich umgehört und erfahren, dass ein Schrotthandel gut laufen kann." Seit Juni hat sie darüber intensiv nachgedacht. Vor etwa vier Wochen fand sie den Mut, sich zu entscheiden. Dass die Geschäftsgründung, die auch viele Behördengänge erfordert, eher eine aufregende statt anregende Angelegenheit ist, hat sie nebenbei auch erfahren.
Stolz ist Nadine Petzold auf den Gewerbeschein, den sie diese Woche erhielt. Damit begann die nächste Runde. Mit dem Dokument konnte sie jetzt Geschäftskonto und -telefon beantragen. Bei all dem Stress verliert die junge Frau die Realitäten nicht aus dem Auge. „Mit dieser Arbeit werde ich mir bestimmt kein großes Auto leisten können. Ich möchte aber auf eigenen Beinen stehen und soviel verdienen wie jeder andere, der eine ordentliche Arbeit hat." (SO)
Quelle: „Freie Presse" vom 11. 09. 2004
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